Die Ausgangslage und erste Bewegungen
Unsere Schule und das Lernen müssen sich verändern. Diese Erkenntnis formuliert der Schulleiter Fredy Zech und die Schulgemeinde der Freiherr-vom-Stein-Schule in ihren Gremien – der Gesamtkonferenz der Lehrkräfte und Schulkonferenz (bestehend aus Vertreter*innen der Elternschaft, der Schüler*innen und Lehrer*innen), auf der Ebene des Schulelternbeirats und dem Landkreis Kassel sowie in der aktuell gültigen Schulentwicklungsvereinbarung mit dem Staatlichen Schulamt klar und deutlich.
Ein pädagogischer Tag im Juli 2021 sowie diverse Schulbesuche, auch über die Grenzen Hessens hinaus, haben den Wunsch nach Erneuerung mit Inhalten und Visionen gefüllt, die dem veränderten Lernverhalten unserer Schülerinnen und Schüler Rechnung tragen und einen bestmöglichen Nutzen aus den Lehren der Pandemie ermöglichen.
Lernende haben sich in Phasen des Lockdowns und Distanzlernens neue Fähig- und Fertigkeiten erarbeitet, die einen Grundstein zum eigenverantwortlichen Lernen bilden. Medien wie iPads, Lern- und Diagnoseplattformen sind hilfreiche Tools, die völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Diese Chancen, das Lernverhalten der Kinder und Jugendlichen völlig neu zu denken, zu gestalten und zu begleiten, wollen wir nicht vorbeiziehen lassen, so Schulleiter Fredy Zech. Die Rolle der Lehrkraft steht hier grundsätzlich auf dem Prüfstand: Lehrerinnen und Lehrer werden in einer Schule, die den Kindern und Jugendlichen mehr Verantwortung für ihr Lernen und Arbeiten gibt, zu Lerncoaches, wenn sie es schaffen, die individuellen Voraussetzungen jedes Kindes zu erfassen sowie seine persönliche Entwicklung unterstützend zu begleiten.
Nicht zuletzt kann auch die „klassische“ Organisationsstruktur der Schule optimiert werden: Wenn Schülerinnen und Schüler selbstständig, mit für sie individualisiertem Material motiviert arbeiten, ist Vertretungsunterricht nicht mehr notwendig, Stunden müssen außerhalb der verlässlichen Schulzeit nicht ausfallen, sondern können im Lernbüro effektiv genutzt werden. Schulleiter Fredy Zech sieht an dieser Stelle eine deutliche Verbesserung des Vertretungsunterrichtes, der mit diesem Konzept eigentlich keiner mehr ist.
Ein personalisierter Arbeitsplatz und Unterstützung durch Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter im Vormittag und Ganztag machen es möglich. Das neue Konzept der Freiherr-vom-Stein-Schule fußt auf drei Säulen, für die nun – nach dem Entwurf einer gemeinsamen Vision der Schulgemeinde – ein räumliches Umdenken und Umstrukturieren notwendig sind. Die drei neuen Raumtypen, die unsere Vision vom personalisierten und kollaborativen Arbeiten ermöglichen, werden im Folgenden vorgestellt.
Kurzfristig gibt es die Umsetzung im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2021/22 (Jahrgang 5). Mittelfristig sind bauliche Veränderungen im Rahmen eines Neu-oder Anbaus, in den auch das seit längerem mit EU-Fördergeldern abgesicherte Bauprojekt integriert wird. Bestehen bleiben im neuen Raumkonzept selbstverständlich die Fachräume für die Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik, die ästhetischen Fächer Musik und Kunst sowie für Sport und Arbeitslehre.
Raumkonzept: Eigener Arbeitsplatz im LernBüro, LernLandschaft für Kommunikation und InputRaum für Einführungen
30 – 45 individuelle Einzelarbeitsplätze für die Schüler*innen eines Jahrganges gibt es beim neuen Raumkonzept in insgesamt drei Klassenräumen. In den Lernbüros wird still gearbeitet. Sowohl die Architektur, die Farbgebung als auch das Reglement sorgen für eine konzentrierte Arbeitsathmosphäre. Wollen sich zwei Schüler*innen austauschen, nutzen sie die LernLandschaft. In InputRäumen gibt es klassischen Lehrervortrag, Präsentationen.
Jeweils zwei Kinder sitzen im LernBüro an einem fest zugeordneten Tisch, der durch Holztrennwände geteilt wird. Jedem Schüler*in stehen drei Ablagekörbe zur Verfügung. Hinzu kommen zwei Arbeitsplätze für Lernbegleiter*innen, Regale für Bücher, Hefte und weitere Materialien. IPads stehen samt Lademöglichkeit zur Verfügung.
Ein Vorteil: Bisheriger Vertretungsunterricht wird überflüssig, da Schüler*innen selbstständig im Lernbüro arbeiten können. Die Aufsicht und fachliche Begleitung ist durch das Jahrgangsteam gesichert, weil alle Stunden parallel im Stundenplan liegen. Eine von zwei- bis drei Fachlehrkräften steht immer direkt zur Verfügung. „Wir bauen in enger Zusammenarbeit mit dem Landkreis Kassel als Schulträger +Schritt für Schritt unsere Schule um. In den kommenden Jahren soll unsere Schule auch Erweiterungsbauten erhalten, die unseren gestiegenen Raumbedarf decken und dann nach diesem neuen Lernkonzept gestaltet werden.“ (Fredy Zech)
„Wenn wir als Lehrerinnen und Lehrer etwas aus der Corona-Pandemie lernen konnten, dann, dass Schule sich verändern muss. Die Schere zwischen Lernenden, die Hochleistungen erbringen können und wollen und jenen, die unsere nahezu uneingeschränkte Aufmerksamkeit und Unterstützung benötigen, wird immer größer. Alle Schülerinnen und Schüler haben das Recht auf personalisiertes Lernen und eine Förderung entsprechend ihrer fachlichen, inhaltlichen, methodischen und sozialen Stärken und Schwächen. Während der Lockdown-Phasen konnten wir beobachten, dass verschiedene Medien, Lernplattformen sowie kreative Ausdrucksmöglichkeiten, die Medien erst möglich machen, vielfältige Werkzeuge sind, um das Lernen neu zu interpretieren und umzusetzen. Kompetenzen, die sich die Schülerinnen und Schüler selbstständig während des Home Schoolings oder des Wechselunterrichts angeeignet haben, dürfen im Regelbetrieb nicht wieder verloren gehen.“ (Dr. Tina Hoffmann-Deist, stellvertretender Schulleiterin)
Im InputRaum gibt es klassische Inhalte auf Abruf und nach Bedarf, abgestimmt auf die schulinternen Fachcurricula der Zweige (Aufbaustufe und Gymnasialzweig). Schüler*innen können einen Input zu verschiedenen Themen „buchen“. Inputs werden in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch sowie in Gesellschaftslehre bzw. Erdkunde im Jahrgang 5 von allen eingesetzten Fachlehrer*innen angeboten. Die Versammlung von höchstens 15 Schüler*innen sorgt zusätzlich für die nötige Aufmerksamkeit und Konzentration. In der medialen Ausstattung hilft eine digitale Tafel beim Präsentieren und Verteilen von Inhalten.
Pädagogisches Konzept: iPads und Scobee‘s als digitale Hilfsmittel
Kollaboration, kritisches Denken, Kreativität und zielgerichtete Kommunikation – das sind die 4K-Fähigkeiten für heute, morgen und übermorgen. Kollaboratives Lernen meint die Arbeit und den Austausch in einem Team, zu dessen Zielen jede*r seine Stärken beitragen kann.
Das Lernbüro mit einem Stillarbeitsplatz bietet den Rahmen zum selbstständigen Lernen, das durch die Lernplattform Scobee’s unterstützt und durch Lehrerinnen und Lehrer begleitet wird. Dr. Tina Hoffmann-Deist: „Das iPad und digitale Tools sind dabei unsere Hilfs-, keine Allheilmittel.“ Die Lern- und Kommuniktionsplattform Scobee’s leitet als digitales Tool durch den Schulalltag. Die Inhalte der Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und Erdkunde bzw. GL werden von den Fachlehrer*innen des Jahrgangs auf verschiedenen Niveaus aufbereitet und in schülerorientierten Modulen eingestellt. Fachliche Orientierungspunkte sind und bleiben das hessische Kerncurriculum sowie die schulinternen Fachcurricula des jeweiligen Zweigs. Scobee’s stellt allerdings nicht allein Aufgaben und Material zur Verfügung, sondern ermöglicht den Schüler*innen zudem eigene Wochenplanung mit To Do-Listen, klar formulierten Zielen und eine kontinuierliche Kommunikation mit den Fachlehrer*innen in Feedback-Prozessen.
Ein intelligentes Diagnoseinstrument (Westermann- Online Diagnose) ermöglicht zu Beginn des 2. HJ einen klaren Überblick über Stärken und Schwächen jedes Kindes in Mathematik, Deutsch und Englisch. Dank einer Schulträgerlizenz können wir zudem zeitnah allen Schüler*innen die Selbstlern-App kapiert.de zur Verfügung stellen.
Es ist nicht alles neu. Unsere Arbeit im Bereich Digitalisierung setzen wir fort, ebenso das umfangreiche Ganztagsangebot für kreative, musische und sportliche Arbeitsgemeinschaften, Förderangebote und… der Schwerpunkt als Mittelstufenschule mit der Kooperation mit der Herwig-Blankertz-Berufsschule Hofeismar geht weiter.
In unserem Konzept nutzen wir die langjährigen Erfahrungen vor allen Dingen der Alemannenschule Wutöschingen und der Richtsberg-Gesamtschule Marburg. Beide Schulen haben die Schulleitung und die Arbeitsgruppe „SchuleNeuDenken“ besucht und stehen im Austausch mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen.
Schon jetzt testen wir das neue Konzept in einigen Klassen. Erste Beispiele aus der Praxis lassen das Konzept lebendig werden.
Praxisbeispiel1: Erstellen eines eBooks im Fach Deutsch
Das selbstständige Lernen etabliert sich in allen Klassen des Jahrganges 5. Die Lernplattform Scobee’s wurde von den Fachlehrer*innen des Jahrgangs 5 mit Inhalten und Materialien gefüllt, die iPads wurden vom Landkreis Kassel administriert, das W-LAN läuft stabil und das Wichtigste: Die Kinder sind motiviert bei der Sache! Die Klasse G5b gestaltete gemeinsam eine kleine Sammlung mit eigenen Gruselgeschichten. Entstanden sind sie im Winter 2021 im Deutschunterricht, während der Beschäftigung mit dem Thema „Spannend Erzählen“. Das eBook aus Geschichten und Zeichnungen zum Gruseln ist ein erstes Ergebnis im Rahmen des Pilotprojekts SchuleNeuDenken und zeigt die tollen literarischen und kreativen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern unserer Schule. Den Link zum eBook findet man auf https://gesamtschule-immenhausen.de/?p=31097
Praxisbeispiel2: Interviewtechnik bei Radioprofis erlernen im Fach Deutsch
Anlässlich des Jugendmedientags führen Schüler*innen des Jahrgangs 10 ein Interview mit dem Bürgermeister von Immenhausen, Lars Obermann. Unterstützt werden sie dabei von Rolf Müller, ehemaligem stellvertretenden hr-Programmchef sowie Carsten Gohlke (hr), der die Schüler*innen selbst zum Interview bittet – mit professioneller Technik zum tollen Radiointerview, das natürlich auch auf unserer Schulhomepage https://gesamtschule-immenhausen.de/?p=30961 gehört werden kann.
Praxisbeispiel 3: Recherche und Informationspräsentation durch Audioguides im Fach Deutsch
In Kooperation mit Medienblitz e.V. und Dank der Unterstützung durch die Stadt Immenhausen erarbeiten Schüler*innen des Jahrganges 5 interessante und kreative Audioguides zu Besonderheiten des Stadtwalds Immenhausen. Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind
ihre Themen beim geführten Rundgang durch den Wald, neben guten Ideen und Texten finden die Schüler*innen passende Musik, Geräusche oder weitere Interviewpartner während ihrer folgenden Projekttage. Alles wird mit speziellen Mikros aufgenommen und am iPad geschnitten, bis Audioguides entsteht, die Besucher des Waldes optimal und zugleich unterhaltsam informieren. Die Audioguides kann man auf unserer Homepage unter https://gesamtschule-immenhausen.de/?p=30997 und auf dem YouTube-Kanal https://www.youtube.com/channel/UCq-iUWRH5056a2spoIup0tQ der Schule anhören.
Warum jetzt? Warum so schnell?
Die Heterogenität unter den Schülerinnen und Schülern hat stark zugenommen, Lernverläufe divergieren weiter auseinander als noch vor der Pandemie. Doch unabhängig von den Fähig- und Fertigkeiten, mit denen die Kinder im Jahrgang 5 an der Freiherr-vom-Stein-Schule starten, haben sie alle das Recht auf eine individuelle Begleitung und Unterstützung in ihrem Lernprozess, um einerseits eventuelle Lerndefizite auszugleichen und andererseits in allen Bereichen des Könnens optimal gefördert zu werden. Somit müssen wir jetzt handeln und grundsätzlich umdenken.
Digitale Tools ermöglichen ein höheres Maß an Individualisierung von Material sowie an Beziehungsarbeit im Lerncoaching und auch Teamarbeit unter Kolleg*innen. Dies kommt allen Schülerinnen und Schülern zugute, auch jenen, die Höchstleistungen zeigen können. Eine neue Raumstruktur ermöglicht Freiräume, personalisiertes und kollaboratives Lernen, das ziel- und produktorientiert und damit bedeutsam ist und die Schülerinnen und Schüler Selbstwirksamkeit erleben lässt. So können Lernen und Anstrengung wieder Spaß machen, denn „Begeisterung ist Dünger für das Gehirn“.
Über 100 iPads des Landkreises stehen zur Verfügung und sind auf einem aktuellen technischen Stand, sie nur phasenweise zu nutzen, befähigt die Schülerinnen und Schüler nicht im kontinuierlichen Umgang mit diesem Medium als Arbeitsmittel. Damit erfüllt die Freiherr-vom-Stein-Schule grundlegende Qualitätskriterien des Hessischen Referenzrahmens für Schulqualität in den Bereichen „Ausgestaltung der Rahmenbedingungen“, „Schulkultur“ sowie „Lehren und Lernen“, die ebenfalls Teil der Schulentwicklungsvereinbarung mit dem Staatlichen Schulamt sind. Schon jetzt sind wir im Rennen für renommierte Preise für Bildungseinrichtungen: für den MediaSurfer, MedienKompetenzPreis Hessen, für den Award Schule Digital und das Siegel Smart School 2022.
Zudem machen sich aktuell zahlreiche Schulen auf einen ähnlichen Weg. Netzwerkarbeit zwischen den Schulen wird an vielen Stellen ermöglicht und aufrechterhalten. So besteht ein stetiger Kontakt zwischen der Freiherr-vom-Stein-Schule und der GAZ Gudensberg sowie der Alemannenschule Wutöschingen, unsere Ansprechpartnerin von Scobees ist stetig bemüht, das Netzwerk der Schulen, die die Lernplattform nutzen, auszubauen und aktiv zu gestalten. Davon profitieren wir im Aufbau von neuen Strukturen enorm und möchten auch zukünftig unseren Beitrag leisten. Uns leitet dabei ein Satz, frei nach Martin Luther King: „Machen wir jetzt den ersten Schritt. Es ist nicht notwendig, dass wir den vollständigen Pfad sehen. Machen wir einfach den ersten Schritt. Der Rest wird beim Gehen sichtbar.
(Stand: 10.2.22)
Infopaket:
SchuleNeuDenken-Material_ das Lernbüro
SchuleNeuDenken-Material_ Gruppen- und Input-Raum
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