Fredy Zech und Dr. Tina Hoffmann-Deist: Interview zu „SchuleNeuDenken“

In der Freiherr-vom-Stein-Schule werden Tische gerückt. Der Landkreis Kassel hat die ersten Schülerarbeitsplätze geliefert. Alle Schülerinnen und Schüler des Jahrganges 5 bekommen bis März einen individuellen Arbeitsplatz. Was dahinter steckt, verraten Schulleiter Fredy Zech und Dr. Tina Hoffmann-Deist, stellvertretende Schulleiterin.

Was hat es mit den Schülerarbeitsplätzen auf sich?

Hoffmann-Deist: Alle Lernenden bekommen bei uns in den nächsten Jahren Schritt für Schritt einen eigenen Arbeitsplatz. Dafür werden die Schultische vergrößert und mit Trennwänden versehen. Hier können auch persönliche Dinge liegen bleiben, die Wände gestaltet werden. Die Schülerinnen und Schüler gestalten ihren eigenen Arbeitsplatz und schaffen so individuelle Lernbedingungen, indem sie eine persönliche Wohfühlatmosphäre kreieren. Gebaut werden die Boxen von der Arbeitsförderungsgesellschaft im Landkreis Kassel (AGiL).

Neue Möbel klingen nicht sehr digital…

Zech: Alle Lernenden haben dann ein eigenes iPad. Weiteres Geld fließt in die Ausstattung des Inputraumes und der Gruppenarbeitsräume, auch LernLandschaft genannt. Neben digitaler Technik geht es dabei um spezielle Raumausstattungen, die unterschiedliche Sozialformen wie Partner- und Gruppenarbeiten, aber auch Methoden wie Schülervorträge und -präsentationen und umfassendere Projektarbeiten erlauben. Digitale Tools ermöglichen ein höheres Maß an Individualisierung von Material und lassen darum mehr Zeit für Beziehungsarbeit im Lerncoaching. Wir wollen Schule neu denken!

Ein neues Raumkonzept heißt „LernBüro“ und dann gibt es auch eine LernLandschaft…

Zech: 105 individuelle Einzelarbeitsplätze gibt es in den insgesamt drei neuen LernBüros. Hier wird still gearbeitet. Sowohl die Architektur, die Farbgebung als auch das Reglement sorgen für eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Wollen sich zwei Schüler*innen austauschen, nutzen sie die LernLandschaft. In InputRäumen gibt es den klassischen Lehrervortrag oder Präsentationen und Fragerunden vor Klassenarbeiten. Wir bauen in enger Zusammenarbeit mit dem Landkreis Kassel als Schulträger Schritt für Schritt unsere Schule um. In den kommenden Jahren soll unsere Schule auch Erweiterungsbauten erhalten, die dem gestiegenen Raumbedarf decken und dann nach diesem neuen Lernkonzept gestaltet werden.

Und was passiert im „InputRaum“?

Zech: Im InputRaum gibt es klassische Inhalte auf Abruf und nach Bedarf. Schüler*innen können einen Input zu verschiedenen Themen „buchen“, um ihre Arbeit in dem LernBüro oder der LernLandschaft zu unterstützen oder zu ergänzen. Inputs werden in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch sowie in Gesellschaftslehre bzw. Erdkunde im Jahrgang 5 von Fachlehrer*innen angeboten. Die Versammlung in kleinen Lerngruppen von höchstens 15 Schüler*innen sorgt zusätzlich für die nötige Aufmerksamkeit und Konzentration. In der medialen Ausstattung hilft eine digitale Tafel beim Präsentieren und Teilen von Inhalten. Ein Padlet, eine Art digitale und online abrufbare Pinnwand, bietet den Schülerinnen und Schüler den nötigen Überblick, welche Inputs im jeweiligen Monat wann und von wem angeboten werden.

iPads und Scobee‘s sind digitale Hilfsmittel. Das kennt man, aber was sind die 4K?

Hoffmann-Deist: Kollaboration, kritisches Denken, Kreativität und zielgerichtete Kommunikation, das sind die 4K-Fähigkeiten. Kollaboratives Lernen meint die Arbeit und den Austausch in einem Team, zu dessen Zielen jede*r seine Stärken beitragen kann. Die Lern- und Kommuniktionsplattform „Scobee’s“ leitet als digitales Tool durch den Schulalltag. Die Inhalte der Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und Erdkunde bzw. GL werden von den Fachlehrerinnen und Fachlehrern des Jahrgangs auf verschiedenen Niveaus aufbereitet und in schülerorientierten Modulen eingestellt. Ein Online-Diagnoseinstrument, das wir in den nächsten Wochen verstärkt nutzen werden, ermöglicht einen klaren Überblick über Stärken und Schwächen.

Haben denn die Schülerinnen und Schüler dann keine Bücher mehr und lernen nicht mehr, wie man mit einem Füller schreibt?

Hoffmann-Deist: Lesen und Schreiben sind zentrale Kulturtechniken, die in unserer Gesellschaft weiterhin einen wichtigen Stellenwert haben. Darum spielen das Lesen im Medium Buch, das Markieren von wichtigen Textstellen oder das Nachschlagen von Vokabeln in einem handfesten Wörterbuch eine ebenso wichtige Rolle, wie das deutliche Schreiben per Hand. Doch wann es sinnvoll ist, einen Text z.B. in Schönschrift per Hand zu schreiben? Wann ist es ergebnisorientierter, einen Text abzutippen und nach Rückmeldungen durch Mitschülerinnen und Mitschüler und/oder Lehrerinnen und Lehrer am iPad ordentlich zu überarbeiten, statt Abschnitte wegzuradieren, durchzustreichen, mit Sternchen Ergänzungen hinzuzufügen? Mit einer Fülle von Möglichkeiten und Arbeitsmitteln sollen Schülerinnen und Schüler bewusst umgehen können, so wie es von ihnen in Ausbildung, Studium und Beruf später erwartet wird. Das ist unser Ziel.

Welche Auswirkungen hat das neue Konzept auf den Vertretungsunterricht?

Hoffmann-Deist: Wenn Schülerinnen und Schüler selbstständig, mit für sie individualisiertem Material motiviert arbeiten, ist Vertretungsunterricht nicht mehr notwendig, Stunden müssen außerhalb der verlässlichen Schulzeit nicht ausfallen, sondern können im Lernbüro effektiv genutzt werden. Fachlehrerinnen und Fachlehrer unterstützen bei inhaltlichen Fragen oder Problemen.

Ist denn jetzt alles neu?

Zech: Nein. Das umfangreiche Ganztagsangebot für kreative, musische und sportliche Arbeitsgemeinschaften wird fortgesetzt. Förderangebote und der Schwerpunkt als Mittelstufenschule mit der Kooperation mit der Herwig-Blankertz-Berufsschule Hofgeismar gehen weiter. Bestehen bleiben im neuen Raumkonzept selbstverständlich die Fachräume, inhaltlicher Orientierungspunkt bleibt das Kerncurriculum des HKM.

Hoffmann-Deist: Lehrerinnen und Lehrer werden in einer Schule, die den Kindern und Jugendlichen mehr Verantwortung für ihr Lernen und Arbeiten gibt, zu Lerncoaches, wenn sie es schaffen, die individuellen Voraussetzungen jedes Kindes zu erfassen sowie seine persönliche Entwicklung unterstützend zu begleiten.

Wie sind sie gerade auf dieses Modell gekommen?

Zech: Nach eingehender Analyse unseres Lernumfeldes und notwendiger Veränderungsprozesse sowohl pädagogischer als auch räumlicher Art, haben wir uns in Deutschland umgesehen. Im Konzept nutzt die Schule die langjährigen Erfahrungen vor allen Dingen der Alemannenschule Wutöschingen und der Richtsberg-Gesamtschule Marburg. Beide Schulen haben die Schulleitung und die Arbeitsgruppe „SchuleNeuDenken“ besucht und stehen im Austausch mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen.

Schule nicht so bleiben, wie sie war?

Zech: Unsere Schule und das Lernen müssen sich verändern. Diese Erkenntnis formuliere nicht ich, sondern die Schulgemeinde der Freiherr-vom-Stein-Schule in ihren Gremien. Die Gesamtkonferenz der Lehrkräfte und Schulkonferenz, bestehend aus Vertreter*innen der Elternschaft, der Schüler*innen und Lehrer*innen. Ein pädagogischer Tag im Juli 2021 sowie diverse Schulbesuche, auch über die Grenzen Hessens hinaus, haben den Wunsch nach Erneuerung mit Inhalten und Visionen gefüllt, die dem veränderten Lernverhalten unserer Schülerinnen und Schüler Rechnung tragen und einen bestmöglichen Nutzen aus den Lehren der Pandemie ermöglichen.

Hoffmann-Deist: Die Heterogenität unter den Schülerinnen und Schülern hat stark zugenommen, Lernverläufe divergieren weiter auseinander als noch vor der Pandemie. Doch unabhängig von den Fähig- und Fertigkeiten, mit denen die Kinder im Jahrgang 5 unserer Schule starten, haben sie alle das Recht auf eine individuelle Begleitung und Unterstützung in ihrem Lernprozess, um einerseits eventuelle Lerndefizite auszugleichen und andererseits in allen Bereichen des Könnens optimal gefördert zu werden. Somit müssen wir jetzt handeln und grundsätzlich umdenken.

Der Landkreis Kassel unterstützt die Schule bei ihrem Modellprojekt. Schon haben sich erste Schulen gemeldet, die sich die Anfänge in Immenhausen ansehen wollen.

 

Online-Infoabende über neues Lern- und Raumkonzept

Immenhausen. Die Schulleitung der Freiherr-vom-Stein-Schule Immenhausen lädt zu zwei Online-Infoabenden zu ihrem neuen Lern- und Raumkonzept ein. Am Mittwoch, 23.2.22, findet um 19.00 Uhr ein Zoom-Elternabend für Eltern von Grundschuleltern statt. Im Zentrum steht das Konzept, dass jedes Kind im Jahrgang fünf einen eigenen Arbeitsplatz bekommt, das Lernen mit iPad wird Normalität. Gesprächspartner werden sein: Fredy Zech (Schulleiter) und Dr. Tina Hoffmann-Deist (Stellvertretende Schulleiterin). Um 20.15 Uhr findet ein Elternabend für die Jahrgänge 6-10 der Gesamtschule Immenhausen statt. Infos gibt es auch auf der Homepage www.gesamtschule-immenhausen.de Wer an einem der beiden Elternabende virtuell teilnehmen will, schickt bitte eine Mail an poststelle@fvs.immenhausen.schulverwaltung.hessen.de

 

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