Interview mit der Schulleiterin: Von Leuchttürmen und Schatzsuche

Kastell BrigitteDie Freiherr-vom-Stein-Schule Immenhausen wird 50. Wir sprachen mit der Schulleiterin Brigitte Kastell über die Situation und Zukunft der Schule, zu deren Einzugsgebiet neben Immenhausen auch Espenau und Reinhardshagen gehört.

„Als Sie als Schulleiterin an die Schule kamen, welches Bild hatten Sie als Außenstehende von der Gesamtschule im Kopf?“

Immenhausen kannte ich als Ort von Glasmuseum, Lungenfachklinik und Schwimmbad. Mit der Schule habe ich die Idee einer kleinen, ländlich geprägten Schule. Man muss allerdings auch sehen, dass die Schule über die Grenzen der eigenen Stadt hinaus wenig bekannt war. Daraus entstand auch gleich meine Motivation, die gute Arbeit der Schule im Schulamtsbezirk bekannter zu machen. Ich habe das am Anfang in Immenhausen mit dem Begriff „Leuchtturmschule“ charakterisiert. Immenhausen kann einfach stolz auf seine Schule sein. Und die gute Leistung darf man auch mutig zeigen.

„Was ist das Besondere der Schule?“

Wir sind eine kooperative Gesamtschule mit Mittelstufenschulzweig und einem Gymnasialzweig ab Klasse fünf, der wieder zu G9 zurückgekehrt ist. Wir sind zwar eine kleine Schule, aber mit vielen Angeboten. Zu unserem Profi gehört die Berufsorientierung mit Praxistag und Kooperation mit der Berufsschule Hofgeismar. Soziale Projekte und Verantwortungsübernahme von Schülerninnen und Schülern sind uns wichtig.  „Eine gute Schule für Ihr Kind“, steht auf unserem Flyer und das bedeutet auch der Ganztagsbereich mit Orchester, Sport und Kreativangeboten, denn eine gute Schule bietet nicht nur guten Unterricht.

„Welche Bedeutung hat die Schule für die Stadt Immenhausen und das Umland?“

Manchmal habe ich das Gefühl, dass man sich hier gar nicht die Folgen ausmalt, was Immenhausen ohne Schule wäre. Immenhausen lebt von seinen Vereinen, seinem Schwimmbad, dem Glasmuseum und eben auch von und mit der Schule.  Unsere Kooperation mit der beruflicher Schule in Hofgeismar, die Berufsorientierung und sozialen Projekte sind ein konkreter Gewinn für die Betriebe vor Ort, weil wir damit Zukunftsperspektiven und beruflichen Erfolg ermöglichen und gleichzeitig die Betriebe Auszubildende bekommen. Eine weiterführende Schule ist für junge Familien ein Argument, in diese Stadt zu ziehen oder Bauland zu kaufen. Insgesamt wird Immenhausen als Mittelzentrum aufgewertet. Bildungschancen sind Zukunftschancen für einen Ort wie Immenhausen.

Schule ist ein Ort sozialen Austausches, Zentrum kulturellen Lebens und Identifikationsobjekt für die Heranwachsenden. Hier werden intakte Sozialbeziehungen im Kindes- und Jugendalter aufgebaut. Ein wohnortnahes Schulangebot stellt eine grundlegende Voraussetzung dar, der zunehmenden „Verinselung“ von Kindheit und mithin dem Zerfall der kindlichen Gemeinschaft entgegen zu wirken.

Als regionaler Faktor motiviert ein wohnortnahes Bildungsangebot Zuzüge junger Familien und stellt somit ein wichtiges Infrastrukturangebot für eine prosperierende Entwicklung der Region dar. Gerade Zuzüge sind für die demografische Erneuerung der überalterten Gesellschaft und als Ausgleich der Wanderungsverluste wichtig. Gerade der ländliche Raum steht vor der größten Herausforderung, denn es gibt eine zunehmende Landflucht. Eine gute Schule ist da ein gutes Gegenargument.

„Welche Veränderungen machen die Schule fit für die Zukunft?“

Für die nächsten Jahre war die Umstellung auf den Mittelstufenschulzweig und die Rückkehr zu G9 wichtig. Doch auch weitere Veränderungen laufen. Wir haben ein sehr junges Kollegium, das von den Erfahrungen der älteren Kolleginnen und Kollegen profitieren können. Da wir als Ausbildungsschule bei Referendaren beliebt sind, kommen immer wieder neue Impulse in die Schule.

Wenn Industrie 4.0 zur Folge hat, dass viele Berufe der Digitalisierung zum Opfer fallen, dann muss Schule sich verändern. Wir brauchen dann nicht den zehnten Förderkurs, sondern Möglichkeiten die Potenziale der Schülerinnen und Schüler zu entfalten und ihre Selbstwirksamkeit zu erhöhen. Wir müssen die Verantwortungsübernahme stärken und gleichzeitig darauf achten, dass Lernen noch mehr Freude macht.

„In den letzten Jahren wurde die Schule komplett saniert. Sind damit alle baulichen Veränderungswünsche abgeschlossen?“

Gut ist, dass unsere Schule wie ein Campus sehr unterschiedliche Räume hat und die Kinder auch immer wieder durch die Wege dazwischen an der frischen Luft sind. Der Nachteil davon ist, dass wir keine großen Versammlungs- und Veranstaltungsort haben und keine Pausenhalle bei Regen und Schnee. Pädagogisch bräuchten wir Differenzierungsräume und auch mehr Klassenräume. Nicht zuletzt fehlen auch Arbeitsplätze für Lehrerinnen und Lehrer.

„Was wünschen Sie sich zum Geburtstag?“

Die Schulsozialarbeit ist enorm wichtig und deren Stunden sollten unbedingt erhöht werden. Außerdem hoffen wir, dass der Berufseinstiegsbegleiter erhalten wird. Und schließlich geht es auch ums Geld: Statt Modellprojekte und Sonderförderprogramme sollte man einfach jeder Schule mehr Bargeld zur individuellen Erweiterung der Ausstattung geben. Geld, dass unbürokratisch von den Schulleitungen, den Fach- und Klassenlehrern genutzt werden könnte.

„Aktuelle Stichworte sind Inklusion und Integration. Wie gehen sie mit diesen Herausforderungen um?“

Wir nehmen solche Herausforderungen an. Unsere Lehrerinnen und Lehrer leisten da sehr viel und stoßen auch bei Eltern und Schülern auf viel Unterstützung. Heterogenität, also sehr unterschiedliche Schülerpersönlichkeiten bei Lernhilfe- und Flüchtlingskindern und bei deutschen Kindern gelingt aber nur, weil wir kleine Klassen haben und ein sehr gutes Gesamtförderkonzept.

Außerdem liegt es immer an konkreten Menschen. Wir haben zwei sehr aktive junge Kolleginnen für den Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ (DAZ) und ein Kollegium, das sich der Flüchtlings- und Inklusionskinder mit Engagement annimmt. Allerdings fehlen trotzdem Ressourcen. Die Politik redet davon, Kinder sind unsere einzige Ressource, aber sie handelt oft nicht entsprechend. Heterogenität gelingt daher dauerhaft nur, wenn wir andere Lernbedingungen schaffen.

„50 Jahre, da hat man noch Kraft zu Veränderungen. Was steht an?“

Es muss mehr um Selbstverantwortung statt Pflichterfüllung gehen. Die Potentiale der Kinder müssen noch mehr gefunden und gefördert werden und nicht immer nur Schwächen durch Nachhilfe auf ein erträgliches Maß gehoben werden. Also mehr Schatz- statt Fehlersuche. Das gelingt durch Lob und Vertrauen statt Negativauslese oder Laissez-faire. Da ist die Freiherr-vom-Stein-Schule auf einem guten Weg für die nächsten 50 Jahre.

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